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Ulrike Hofmann: Vorhang auf für den Theaterverlag

Sie arbeitete als Dramaturgin und Theaterpädagogin, übersetzt und lektoriert Stücke aus dem Englischen, führte Regie, leitet einen Theaterverlag, war Dozentin für Theaterwissenschaft an der Freien Universität und tourt lesend durch den deutschsprachigen Raum mit ihrem eigenen Stück. Ulrike Hofmann-Paul wusste schon während ihres Studiums der Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaften, dass ihre eigentliche Leidenschaft der Theaterszene galt. Seither lebt die Oberfränkin auf der Roten Insel Schöneberg – unbedingt gerne, mit Blick auf die Königin-Luise-Gedächtniskirche und enger Bindung zur Bioinsel, in der ihr Sohn Lewe schon vor runden 25 Jahren das Einkaufen insbesondere wegen der Lakritzstangen liebte.

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Bioinsel und Heimatgefühl

Als Ulrike Hofmann-Paul mit ihrem Mann Ingwer 1984 in die Naumannstraße 24 zog, herrschte dort noch reichlich extremer Durchgangsverkehr, die Rote Insel hatte nicht das beste Image und die BioInsel alias Inselladen gab es noch nicht. Sie erinnert sich lebhaft: „Annes und Helmuts Bioladen in der Leberstraße kennen wir seit der Eröffnung 1988. In dem Jahr wurde unser Sohn Lewe geboren. Als er Laufen lernte, kam er kaum alleine die steile Ladentreppe hinunter, während sich die Erwachsenen den Kopf an der niedrigen Decke im Souterrain-Eingang stießen. Der Umzug auf den Platz war für uns eine Freude. Endlich eine große Auswahl!“

Heute studiert Lewe in Australien Sinologie und betreibt gleichzeitig mit seinen Berliner Freunden sinonerds.com, ein Magazin und Infoplattform für alle mit Interesse an China. Immer, wenn er zurück in Berlin ist, kehrt er gerne in der Bioinsel ein. Zwar kauft er jetzt öfter Schokolade als Lakritzstangen, aber der Laden ist für ihn nach wie vor ein Stück Heimat. Die Schokolade hat die weite Reise nach Australien sogar schon mitgemacht.

Lesungen zu Alzheimer

Heute ist die Naumannstraße eine ruhige Straße, in der es sich mit Blick auf die Kirche beschaulich leben und arbeiten lässt. Ulrike Hofmann-Pauls Theaterverlag ist hier mit kurzer Unterbrechung seit 1998 ansässig. Allerdings ist die Theaterbegeisterte viel unterwegs. Aktuell war sie gerade zum Weltalzheimertag in Salzburg und Wels – und zwar mit „Die Akte Auguste D.“, ein Stück, das sie 2000 geschrieben hat auf Basis der Gespräche, die Alois Alzheimer mit seiner Patientin Auguste Deter geführt hat. „Gereizt hat mich daran, wie man am Sprechen und an der Sprache die Krankheit erkennt.“ Mit dem Arztehepaar Konrad und Ulrike Maurer aus Frankfurt am Main, die eine Biografie über Alois Alzheimer geschrieben haben, hat sie lange Gepräche geführt, sie hat in Psychiatrien, Pathologien und Museen recherchiert und eine Bühnenfassung geschrieben, später eine Kurzfassung für die Szenische Lesung. «1901 wurde die Krankheit entdeckt, 2001 war sie noch nicht heilbar, bis heute nicht, wie man weiß. Dieses hundertjährige Vergessen ist faszinierend, Auguste D. steht als Figur dafür – ich bin mit dem Schauspieler Basil Dorn damit gerne auf Lesereise.»

AutorInnen-Pflege

Aber auch in ihrer Eigenschaft als Verlagsleiterin reist Ulrike Hofmann-Paul viel herum und schaut sich die Uraufführungen ihrer AutorInnen an, aktuell das Stück „Kommunikonkinder“ im Jugendtheater Dortmund von einem ihrer wichtigsten Autoren, Jörg Menke-Peitzmeyer, der auch gerade für das Theater Strahl Berlin „The Working Dead“ geschrieben hat. Hierfür erhielt er den Ikarus 2015, womit eine herausragende Inszenierung der Berliner Jugendtheater ausgezeichnet wird. Über den Erfolg dieser aufwendigen Theater Strahl Produktion in den Fabrikhallen in Oberschöneweide freut sie sich sehr. Der Besuch der Ur- und Erstaufführungen und die Reisen zu den Theatern sind Pflicht- und Kürprogramm zugleich, die Verlagsleiterin muss wissen, wie die Stücke auf der Bühne funktionieren, wenn sie sie auf dem Theatermarkt anbietet.

Jörg Menke-Peitzmeyer ist ein Beispiel dafür, dass vertrauensvolle Zusammenarbeit zu einer erfolgreichen Vermarktung führen kann. Der Autor wurde mit dem Einfrau-Stück „Steht auf, wenn ihr Schalker seid“ bekannt. Er schreibt vornehmlich Stücke für das Junge Theater, also für Kinder und Jugendliche und ist derzeit mit 23 Stücken bei ihr unter Vertrag.

Als der Messias erschien

Den Erfolg müssen sich Verlag und AutorIn gemeinsam erarbeiten – und manchmal sind AutorInnen nach der Aufbauarbeit auch wieder weg. „Ist aber noch nicht oft passiert“, so Ulrike Hofmann-Paul, erinnert sich jedoch an ein sehr einschneidendes Erlebnis in ihrer Biografie, „Das kann brutal sein, wie Boden unter den Fußen verlieren…“

Es begann 1988. Sie war noch im GRIPS-Theater als Dramaturgin engagiert und begleitete den furiosen Start der „Linie 1“ – ein Stück von Volker Ludwig, das noch heute um die Welt tourt.
Da erschien ihr 1988 gewissermaßen der MESSIAS des Londoner Autors Patrick Barlow, den sie gemeinsam mit Volker Ludwig ins Deutsche übersetzte: Zwei Schauspieler, die alle Rollen spielen: Schafe, Hebamme, Hirten, Jesus, Maria, Josef, die Weisen – ein witziges, freches und unerwartet erfolgreiches Stück, das sie, nachdem sie das GRIPS verlassen hatte, zehn Jahre lang vermarktete. Als das Stück so richtig Furore machte, übernahm es ein großer Verlag. „Der Messias“ war neben ihrer freien Arbeit damals als Regisseurin und Dramaturgin auch Teil ihrer Existenzgrundlage. Die war nun weggebrochen.

Theaterverlag heute

Sie entschied sich in der Krise mit der Verlagsarbeit weiterzumachen, auch weil sie die Unterstützung von ihrer Familie und von Freunden hatte. Die Übersetzerin Regine Elässer bot ihr an, Stücke aus Skandinavien zu übersetzen, sie holte den in Schweden bekannten Jonas Gardell in den Verlag und macht ihr bis heute Vorschläge. So begann Ulrike Hofmann-Paul 1998 mit fünf Stücken und baute den Theaterverlag kontinuierlich auf, Stück für Stück. Ein Text der ersten Stunde war „fast Faust“ des Wiener Autors Albert Frank, der sich mit den Jahren zum Erfolgsstück entwickelte. Heute leitet sie den Verlag mit drei Mitarbeiterinnen.
„Verlage,“ sagt sie, „haben die Aufgabe, ein Repertoire aufzubauen, damit Stücke nach einmaligem Gebrauch nicht in der Versenkung verschwinden.“ Der Verlag vertritt die Aufführungsrechte von Theaterstücken deutscher und ausländischer AutorInnen aller Genres. Ein spezielles Interesse richtet sich auf die Perspektive Europa und europäische Dramatik. Aktuell vertritt der Theaterverlag 91 AutorInnen und ÜbersetzerInnen mit 176 Stücken, viele davon auch im Kinder- und Jugendtheaterbereich, der ihr noch immer am Herzen liegt.

www.theaterverlaghofmann-paul.de
www.sinonerds.com

Übrigens: Die Naumannstraße wurde erst 1929 nach Friedrich Naumann benannt. Naumann war Theologe und Sozialpolitiker, der hier von 1906 bis 1918 in der Nummer 24 lebte. Sein Wohnhaus auf der Insel war jahrelang Zentrum seiner national-sozialen Bewegung. Unter seiner Wohnung war der Buchverlag „Fortschritt“ und die Redaktion der „Hilfe“ untergebracht, in der unter anderem Theodor Heuss Mitglied war. Beigesetzt ist Naumann auf dem alten Friedhof der Zwölf-Apostel-Gemeinde, Kolonnenstraße 24/25, Mittelweg, Abt. 301-3-6/8 (Ehrengrab).

Text: www.ankekuckuck.de
Foto: Ingwer Paul

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