Elisabeth Ziemer: Brücken bauen…Grüne
Ein Kiezspaziergang
Eine kompetentere „Kiezführerin“ kann man sich kaum denken: Elisabeth Ziemer, ehemalige Bezirksbürgermeisterin und Stadträtin, wohnt seit 15 Jahren in der Leberstraße auf der Roten Insel. Sie ist zwar nicht mehr in politischen Amt und Würden, aber als Bürgerin und immer noch Mitglied der GRÜNEN weiterhin engagiert, wenn es um Schöneberger Stadtentwicklung geht. Selbige hat sie als Stadträtin für Gesundheit, Stadtentwicklung und Quartiersmanagement im Bezirk Tempelhof-Schöneberg seit 2002 einige Jahre lang mitbestimmt.
Eine ganz besondere Aura
Die promovierte Kunsthistorikerin findet, dass ihre Rote Insel über eine „ganz besondere Aura verfügt, die Leute anzieht, die etwas machen.“ Unser Kiezspaziergang beginnt deshalb auch am Lebensmittelmarkt Bioinsel, in der Anne Weis und Helmut Welp seit mehr als 25 Jahren die Geschäfte führen und in der Elisabeth Ziemer Stammkundin ist.
In ihrem Kiez verfolgt die Kunsthistorikern sehr genau, was aus ihren Planungen zur Schöneberger Schleife geworden ist, erfreut sich an Lieblingsplätzen wie dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof, erzählt Geschichten über konspirative Treffen in der Leberschen Kohlenhandlung und dass der „Gusti“, der Gustav-Müller-Platz, Keimzelle der Frauenbewegung war*. Sie ärgert sich über auf alt getrimmte neue Gaslaternen und über Investoren, die ihre Versprechen nicht einlösen. Mit anderen Worten: Sie fühlt sich wohl zwischen all den Widersprüchen, genießt die Lebendigkeit zwischen Cheruskerpark und Naumannstraße, aber auch die Ruhe etwas abseits der städtischen Hektik.
Verbindungen schaffen
Entlang der ehemaligen Bahngleise, die das rote Eiland umschließen, wandeln wir auf den Grün- und Radstreifen in Richtung Gasometer und EUREF-Gelände. „Die Planung für die Grünschleife begann ja schon vor meiner Zeit als Stadträtin für Stadtentwicklung. Ich hab´s kräftig weiterbetrieben und für die Finanzierung gesorgt.“ Übergeben hat sie ihr politisches Amt 2006 an ihre grüne Kollegin Sybill Klotz, die gleich um die Ecke an den Bahngleisen wohnt. „Die große Idee, die hinter der Schleife liegt, ist die Verbindung für Fußgänger und Radfahrer bis hin zum Potsdamer Platz über den Gleisdreieckpark.“
Das Verbindungen schaffen und Brücken bauen durchzieht denn auch das Wirken von Elisabeth Ziemer. Die lange überfällige S-Bahnanbindung – die kleine, aber feine Fußgängerbrücke zum Crellekiez – der Radweg über den S-Bahntunnel in die Ebersstraße – der Übergang aus der Naumannstraße zur General-Pape-Straße am Südkreuz. „Kleine Verbindungen“, sagt Elisabeth Ziemer, „die den Menschen behilflich sind, den Alltag einfacher zu gestalten, die die Familien im Kiez halten und das Leben mit Kindern erleichtern – das finde ich genial.“
Prestigeobjekte und Freizeitpark
Ganz im Gegensatz dazu sieht sie Prestigeobjekte wie das Gelände rund um den Gasometer, an dessen Entwicklung sie als Grüne kein gutes Haar lässt und das sie gerne einer kulturell-gewerblichen Nutzung zugeführt hätte. „Ein Projekt, das nur dazu benutzt wird, Geld zu machen. Mit erneuerbaren Energien, nachhaltiger Stadtentwicklung oder gar Denkmalschutz hat das alles herzlich wenig zu tun! Hier wurden ständig Versprechungen von Investoren locker in die Runde geworfen, die nicht gehalten wurden, Luftblasen – bis hin zur Sanierung des Gasometers oder den Ausbau der Torgauer Straße.“
Entlang der Torgauer aber in Richtung Südkreuz wurde ganz in ihrem Sinne eine weiträumige Freizeitfläche für die Anwohner entwickelt mit innovativen Spiel- und Fitnessgeräten, mit Spazier- und Radwegen, die gleichzeitig auch eine historische Linie bilden.
Auf dem neuen Spiel- und Fitnessgelände Torgauer StraßeGeschichte wird gemacht
Da ist die historische Bahnstrecke, der denkmalgeschützte Gasometer als Wahrzeichen des Quartiers, da ist der zukünftige Gedenkort, an dem die alte Lebersche Kohlenhandlung stand, in der sich Widerstand gegen die Nazis organisierte. Gleich hinter dem Südkreuz die Dauerausstellung am Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße, ein historischer Ort des frühen NS-Terrors in Berlin, in welchem sich noch Spuren aus dem Jahr 1933 finden lassen.
An der Grenze zur Roten Insel/Ecke General-Pape-Straße und Löwenhardtdamm ist auch der Schwerbelastungskörper zu besichtigen, ein 1941 bis 1942 errichteter großer Beton-Zylinder, mit dem die Belastung des Untergrundes durch einen von den Nationalsozialisten geplanten, gigantischen Triumphbogen auf der „Achse des Volkes“ simuliert werden sollte – ein Teil der geplanten „Welthauptstadt Germania“. Sonntags finden hier Führungen statt.
Café Achteck – Pissoir für Herren
Wir biegen ein in die Naumannstraße und streifen neue Straßenschilder: „Wilhelm-Kabus-Straße, der war hier CDU-Bürgermeister, politisch und menschlich nicht mein Fall, den kann man getrost vergessen!“ Anders die Hertha-Block-Promenade, die den Leuthener Platz über die Schienen mit dem Kasernengelände an der General-Pape-Staße verbindet. Die Bibliothekarin Hertha Block war aufgrund der Beteiligung am „Bund proletarischer-revolutionärer Schriftsteller“ von SA-Männern verhaftet worden und u.a. im SA-Gefängnis General-Pape-Straße inhaftiert und misshandelt worden.
Auf der gegenüberliegenden Seite ein Zeitzeuge der Jahrhundertwende, ein Café Achteck, eines der wenigen sanierten, 1878 entworfenen Berliner Pissoirs für Herren, welches heute die Firma Wall sponsert und pflegt. Mit dem Firmengründer Hans Wall arbeitet Elisabeth Ziemer heute im Vorstand des Vereins „Denk-mal-an-Berlin“.
Der Friedhof – ein Traum
Auf dem Weg zu Ziemers Lieblingsplatz, dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof, verweist sie am Gustav-Müller-Platz auf die Königin-Luise-Gedächtniskirche, 1912 eingeweiht und einziger evangelischer Kirchenbau im Kiez.
Für den alten Friedhof, der schon 1864 entstand, als die Insel noch kein Wohngebiet war und Schöneberg außerhalb der Stadt lag, hat Ziemer als Unterstützerin einen Schlüssel für den Hintereingang. Innerhalb von 30 Jahren nach Einrichtung des Friedhofs kam es durch die industrielle Entwicklung Berlins zu einem Massenzuzug, sodass Schöneberg 1898 mit über 100 000 Einwohnern zur Stadt erklärt wurde. „Von Anfang an haben hier gut ausgebildete Verwaltungsleute und Bürgermeister für den gleichzeitigen Bau von Wohnungen und umfassender Infrastruktur gesorgt, so dass sich eine gesunde städtebauliche Mischung entwickeln konnte.“
Auf dem Zwölf-Apostel-Kirchhof NaumannstraßeGräberpaten und Bienenkästen
Auf dem Friedhof wandeln wir durch die Zeiten, alte Gräber, Zeitzeugen, für die man Patenschaften übernehmen kann, Mustergräber, die moderne Grabgestaltung zeigen bis hin zum eingemeißelten QR-Code, der wohl die Grabinschrift ersetzen soll. Der Historiker Johann Gustav Droysen (+1884), der Politiker Max Duncker (+1886) und der Maler Anton von Werner (+1915) liegen hier begraben. Muslimische Bestattungen sind ein neues Angebot, Bienenkästen warten auf Besuch, in der Kapelle gibt es von Zeit zu Zeit Filme und Konzerte. „Ein Traum“, schwärmt die Schönebergerin. Und ganz beseelt geht es entlang der Kolonnenstraße wieder zurück zum Ausgangspunkt unseres kleinen Spaziergangs – zur Bioinsel.
*zum Weiterlesen: Blicke ins Quartier 1949-2000 herausgegeben vom Schöneberg Museum Jaron Verlag, 2001
Text und Fotos: www.ankekuckuck.de
Lars Oberg: Türen öffnen… SPD
Herr Oberg, als SPD-Abgeordneter des Bezirks Schöneberg kommen Sie viel herum im Bezirk, aber wie wir hörten, haben Sie eine besondere Verbindung zur Roten Insel?
Unbedingt. Das liegt daran, dass ich seit Jahren hier lebe und mich sehr wohl fühle. Das Maß an funktionierender Nachbarschaft ist großartig, viele der Gewerbetreibenden wohnen ja auch gleichzeitig hier. Und das Ganze ist ohne Penetranz, jeder hat seine Freiheiten. Unser Kiez ist einfach toll. Ich liebe den Bücherladen und die Pizza von Andrea, und das ist ja alles gleich nebenan.
Von daher auch wahrscheinlich der Kontakt zur Bioinsel…
Das hat allerdings zwei Gründe. 1. bin ich da Kunde und schätze das Sortiment, die Milch ist wirklich sehr gut, Obst und Gemüse immer frisch. Und 2. haben die Macher der Bioinsel, Anne Weis und Helmut Welp, ein ähnliches Anliegen wie ich, nämlich die Insel weiter zu entwickeln, damit der Kiez lebenswerter wird. Da trifft sich was und manchmal können wir gemeinsam was bewirken, ohne parteipolitische Vereinnahmung. Zum Beispiel hatten wir über Jahre als gemeinsames Ziel den S-Bahnhof Julius-Leber-Brücke.
Hat ja dann auch 2008 geklappt…
Genau. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an eine andere Begegnung mit Anne Weis. Sie kam mit einem Nachbarn in meine Sprechstunde. Sie wollten mit mir über die Torgauer Straße sprechen, über die Lärm- und Schmutzbelästigung damals durch den Autohandel und die vielen Autotransporter, die dort gegenüber vom Gasometer den Anwohnern das Leben schwer machten. Damals ist die Idee geboren, die Torgauer Straße zu zumachen, sich für mehr Grünflächen, Radwege und weniger Durchgangsverkehr einzusetzen. Auch das hat funktioniert. Heute ist das eine tolle Ecke mit Erholungswert.
Sie sind gebürtiger Stuttgarter. Wie lebt es sich als Schwabe in Berlin?
Also, meine Verbundenheit mit Berlin ist inzwischen deutlich größer als mit meiner Heimatstadt. 1997 kam ich auf Klassenfahrt mit der 12. Klasse zum erstenmal in diese tolle große Stadt. Das war ein großartiges Erlebnis, geradezu eine Offenbarung damals. Hier war und ist alles in Bewegung, man kann hier sein, wer und wie man will, muss sich nicht rechtfertigen für das, was man ist. Noch auf dem Rückweg habe ich mich damals entschlossen, schnellstmöglich zurückzukehren. 1999 war ich dann auch schon wieder da und hab es bis heute nicht bereut.
Und wann folgte die Entdeckung Schönebergs?
Ab 2001: Ebersstraße – Gustav-Müller-Straße – Leberstraße und heute Kolonnenstraße.
Sie wurden von den Schönebergern ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt und arbeiten halbtags neben der parlamentarischen Arbeit als Wirtschaftsreferent im Bundesinnenministerium. Dazu die Familie, und das alles mit 35 Jahren. Dabei machen Sie einen sehr entspannten Eindruck…
Das freut mich (lacht). Ich mag mich nicht in Abhängigkeiten begeben und erlebe meinen beruflichen Alltag als sehr angenehme Situation. Ich halte mir meine Zukunft offen. Ich möchte mich nicht allein von der politischen Arbeit vereinnahmen lassen. Dann ist man nicht wirklich frei in seinen Entscheidungen und verliert leicht die Bodenhaftung.
Und zum Alter – das Berliner Parlament ist relativ jung. Hier ist es nicht wie auf dem Land, wo man sich erst einmal durch alle Instanzen und langen Wege durchbeißen muss. Hier spielt auch Herkunft keine Rolle. Politik für Jung und Alt sollte auch von Alten und Jungen gemacht werden. Neulich fragte mich eine Brandenburger Kollegin im Bildungsausschuss, wer denn von den sozialdemokratischen Abgeordneten im Bildungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhaus ein gebürtiger Berliner sei. Ich sagte ihr: „Der einzige hier geborene echte Berliner hat einen türkischen Namen.“ In Brandenburg ist das ganz anders. Da überwiegen die gebürtigen Brandenburger.
Sie haben in der Hauptstraße ihr Wahlkreisbüro, in dem Sie montags von 16-18 Uhr seit 2006 zu Sprechstunden einladen. Mit was für Anliegen kommen die Bürger, und haben die alle Ihr Parteibuch?
Nein (lacht), auf keinen Fall, wahrscheinlich die wenigsten… da achte ich auch nicht drauf. Es sind die alltäglichen Probleme wie Verkehrsfragen, steigende Mieten, Gebahren von Vermietern, Umgang mit Behörden, Einbürgerungsfragen, Schulthemen – immer das eigene Leben betreffend und sehr konkret. Ich bin zwar oft nicht zuständig, mein Mitarbeiter und ich haben dennoch das Ziel, immer nach Türen zu suchen, die wir öffnen können. Versprechen tu ich aber nichts. Ich sage immer, was wir tun können und was nicht. Ich lege Wert auf Wahrheit und Ehrlichkeit. Die Sprechstunde ist in meinem Verständnis so ein Kernpunkt unserer Demokratie, ein niedrigschwelliges Angebot, sowie meine regelmäßigen Infostände zum Beispiel am Kleistpark oder, dass man mich über Handy immer erreichen kann – auch wenn man aus Marzahn kommt.
Sie tragen gerne eine Schirmmütze – auch auf Plakaten. Kalt oder Kult?
Eher Sonne, das war zumindst der Ausgangspunkt. Ich finde auch, dass steht mir und schützt meinen Kopf. Ich setze sie natürlich ab, wenn ich den Fahrradhelm benutze, im Parlament wird es verlangt, auch in Kirchen, im Schwimmbad und zuhause. Ich habe ca 10-15 Mützen und freu mich immer über was Neues. Diese hier habe ich in Mailand gefunden.
Ein Frage habe ich noch, Herr Oberg. Sie legen auf Ihrer Website Ihre gesamten Einkünfte offen – Transparenz bezüglich der Bezüge finden Sie wichtig. Ich würde nicht wollen, dass alle wissen, wieviel Geld ich verdiene…
Sie arbeiten in der freien Wirtschaft, ich bin Beamter und Politiker. Die, die wissen wollen, was ich an Einnahmen habe, bezahlen mich ja – meine Bezüge könnte jeder sowieso recherchieren. Darüberhinaus nehme ich keine Spenden an, wir werden gut genug bezahlt. Weitere Tätigkeiten übernehme ich nur ehrenamtlich. Über eventuelle Nebenjobs sollte der Wähler Bescheid wissen, auch um einen möglichen Zusammenhang zwischen Einkommen und politischen Entscheidungen einschätzen zu können.
Vielen Dank, Herr Oberg.
www.lars-oberg.de
SPD-Wahlkreisbüro, Hauptstraße 8, 10827 Berlin
Andrea Amitranos: Mit Liebe zur Pizza
Gleich gegenüber von Capri – da, wo laut deutschem Schlager „die rote Sonne im Meer versinkt” – ist Andrea Amitrano geboren. Und so wie sein Geburtsort heißt auch seine Pizzeria auf der Roten Insel in Schöneberg: Sorrentina – die Halbinsel im Golf von Neapel. Auf der Berliner Insel lebt und arbeitet er – auf der italienischen Insel besucht er mehrmals im Jahr la Mamma und macht Urlaub. Irgendwie liebt er das Insel-Dasein. Wen wunderts, dass er jeden Morgen um die Ecke zur Bioinsel geht und sich dort ein bis zwei Biojoghurts gönnt. „Blaubeer oder Kirsch – super lecker!” lächelt er mit dem Charme des Süditalieners.
Das Sorrentina-Team v.l.: Gerry, Luigi Andrea, Dario, Tomaso.Hier bleibe ich!
„Wenn du damals nicht gute Beziehungen oder Geld hattest,” so Andrea Amitrano, „hattest du in Sorrento keine Chance auf ein eigenes Restaurant!” Aber genau das war sein Traum, seit er mit 16 in der Schweiz in einem Fünfsterne-Hotel während eines Praktikums zum ersten Mal Teller trug. Also ging er 1984 nach Westberlin, genauer gesagt nach Reinikendorf, wo ein paar Freunde von ihm bereits arbeiteten. Und schnell war ihm klar: „Von hier geh ich nicht mehr weg!”
Westberlin war eine Insel, „wie bei uns”, die Läden waren 24 Stunden lang geöffnet, er fühlte sich sicher und willkommen – und so wurden aus geplanten sechs Monaten bis heute 31 Jahre.
Gleich um die Ecke
In Berlin war es relativ einfach, den Traum von einer eigenen Pizzeria zu leben. „Die Deutschen mögen die italienische Küche”. Und für einen Italiener wie ihn geht es auch nicht ohne Pasta und Pizza. Inzwischen ist es Andreas fünfter Laden, nicht immer waren alle erfolgreich und die Partner zuverlässig. Aber in Schöneberg hat er nun seinen Standort gefunden und sich von Anfang an wie Zuhause gefühlt. Hier verwöhnt er nun seine Gäste mit der Küche aus seiner Heimatregion Campanien, die ihm sehr am Herzen liegt.
Ü50-Stürmer bei IC Internationale
Fünf Mitarbeiter kümmern sich um das Wohl der Gäste, unter ihnen zahlreiche Stammkunden. Dazu gehören auch Anne Weiss und Helmut Welp von der Bioinsel. Mit Helmut verbindet ihn das Fußballspielen in der Ü50 beim FC Internationale. „Ich versuche da den Stürmer zu spielen.” Anne Weiss liebt das Schwimmen. „Sie bestellt immer das gleiche,” weiß Andrea, „wenn sie direkt vom Schwimmen kommt, isst sie eine große Portion Pasta arrabiata, ansonsten eine kleine.”
Pizza, Pasta & Co
Die Speisenkarte hat allerdings mehr zu bieten als Annes Lieblingsgericht. Vor allem selbstgemachte Gnocci und Pasta wie Ravioli, Spagetti, Cannelloni sowie Steinofenpizza, die mit vielen guten Zutaten und Liebe gebacken wird. Chefpizzabäcker und Chefkoch bringen jahrelange Erfahrungen mit. Der Pizzateig muss Tage vorher hergestellt werden. Die Tomatensauce ist aus eigener Zubereitung mit Gewürzen, Knoblauch, Olivenöl und Kapern. Verwendet wird echter Mozarella. Und obendrauf allerlei Variationen – das Ganze eher traditionell denn experimentell.
Buon Appetito!Trattoria Sorrentina
Gustav-Müller-Str. 1
Die. – So. 16-24 Uhr
Arno Schmeil: Präzision und Genuss – Double Eye
Vom Nachrichtengerätemechaniker zum Coffeeshop und Barista-Weltmeister ist es ein gar nicht so weiter Weg. Wenn man Arno Schmeil genau zuhört und sich in seinem Double Eye in der Schöneberger Akazienstraße einmal hinter dem Tresen umsieht, dann erfährt man, dass sich hier technische Präzision mit genüsslicher Leidenschaft mixt. Und wenn einer dann noch gerne mit den Händen arbeitet und mit der richtigen Nase ausgestattet ist, kommt man dem Erfolgsgeheimnis eines der meistdiskutierten Kaffeeshop-Modelle vermutlich recht nahe.
Auch das Arno sich seinem Kiez seit 16 Jahren verbunden fühlt und mit seiner Frau und den zwei Söhnen auf der Roten Insel gleich gegenüber der BIOINSEL wohnt, passt zum Bild des ebenso sympathischen wie berühmten Selfmade-Kaffee-Experten.
Arno Schmeil vor dem Double Eye in der Akazienstraße 22Da kriegste ’n Auge
Arno ist „nie weggekommen aus Berlin“, wie er sagt. Vom Abi bis zum Bauingenieur, als Ehemann und Familienvater verlief der Weg gradlinig – bis er mit 32 den Stress am Bau leid war und kompromisslos das tat, was man wohl einen Ausstieg nennen kann. Nachts plante er sein neues Business. „Kaffee hat mich immer fasziniert, die portugiesische und spanische Kaffeekultur, alles, was mit Kaffee zu tun hat.“ Und das ist ja weit mehr als Kaffee kochen. Er entwarf sein Logo, das doppelte Auge in einer architektonisch geläufigen, ovalen Fassung. „Da kriegste’n Auge“, der Spruch für etwas, das man überraschend und toll findet, animierte ihn dazu.
Von Kartoffeln zu Kaffee
Er entdeckte den Laden in der Akazienstraße, in der zuvor zwei ältere Damen Kartoffeln verkauft hatten – ganze 40 m² groß – und wusste gleich: „Das ist es! Das klappt!“ Sogar seine Frau, geplagt von einem selbstständigen Vater, der wenig Zeit für sie hatte, gab ihr Ok. Arno nahm Maß, fertigte eine technische Zeichnung an und überzeugte den privaten Vermieter von seinem Konzept. Und das hält noch heute, 14 Jahre später.
Bis zu 800 shots täglich
Von da an bekam Arno Schmeils Leben einen ganz neuen Dreh – vom Techniker zum Genussmenschen. Es lief ganz langsam an. Wo heute 600 bis 800 „shots“, also Kaffeeportionen, pro Tag ausgegeben werden, waren es zu Beginn 20, 30. Es wuchs langsam, aber stetig. „Super Gegend. Super nette Kundschaft!“, schwärmt Arno, „von Anfang an fühlte ich mich hier – auch wirtschaftlich – auf der sicheren Seite!“
Mit Blick auf die BIOINSEL
Für ihn und seine Frau, die seit 16 Jahren an der Kolonnenstraße mit Blick auf die BIOINSEL, wohnen, ist es undenkbar, hier wegzuziehen. „Der Kiez mitsamt der Akazienstraße hat sich sehr gut entwickelt.“ Die beiden Söhne sind hier aufgewachsen – vom Kindergarten zur Schule. Die Einkäufe werden in der BIOINSEL erledigt. Zum Arbeitsplatz von Arno sind es nur ein paar Schritte.
Bei aller Bodenständigkeit fragt sich die Kaffeewelt: Wieso ist Arnos Laden immer voller Kunden jeden Alters, die auch lange Schlangen vor dem Tresen für einen Gallao oder einen Espresso – mild oder kräftig – in Kauf nehmen?
Ein erster eigener Röster
Ein Grund ist sicherlich Arno selbst, der sich in das Thema Kaffee mit Enthusiasmus hineingearbeitet hat und täglich weiter an der Perfektionierung der Qualität arbeitet. Er beteiligte sich 2006 und 2007 an Barista-Weltmeisterschaften, kam, sah und siegte als professioneller Kaffee-Zubereiter. Danach tauchte er so richtig ein in das braune Elixier und in die boomende Kaffeeszene in Deutschland. Er kaufte sich 2006 seinen ersten Röster und startete 2007 mit eigenen Röstungen erneut durch.
Arno Schmeil in seiner winzigen Rösterei hinter dem LadengeschäftVon Java bis Ostafrika
Auf der Suche nach Antworten auf Fragen wie „Wie sind die sozialen Verhältnisse auf den Plantagen? Was können mir die Experten vor Ort über Aromen, Röstungen, Hanglagen oder angemessene Preise beibringen?“ bereist er die Kaffeekirschen-Welt von Java, Flores, Sumatra über Nicaragua, El Salvador, Guatemala bis Ostafrika. Arno weiß, wo seine Kaffeekirschen herkommen, wie die Farmer ihre Leute behandeln. Er beschäftigt sich mit der Geschichte eines Landes, die mit der Kaffeeproduktion oft eng verknüpft ist.
Nachhaltig und sozial verträglich
„Diese Leidenschaft kann ich mir leisten, weil der Laden gut läuft,“ und so spielt er in der internationalen Kaffeeszene ganz vorne mit, weil er sich „entspannt auf den Kaffee“ konzentrieren kann. Und weil er Mitglied in der Röstergilde ist, ein Zusammenschluss von 100 Kleinröstern, die auch gemeinsame Reisen und Einkäufe unternehmen.
„Circa 80 Prozent meiner eigenen Röstungen sind nachhaltig, sozial verträglich und von feinster Qualität.“ Das garantiert er, denn sein vergleichsweise kleiner Betrieb ermöglicht ihm größtmögliche Transparenz. Und klein soll der Laden bleiben – keine Ladenkette, kein „Starbucksfeeling“. „Klar ist es hier beengt und vielleicht muss die Rösterei mal woanders hin, aber im Prinzip gefällt mir das so, mein Privatleben ist mir wichtig und so kann ich von hinten heraus agieren.“
Jeder Barista arbeitet anders
Im Double Eye arbeiten 10 bis 12 MitarbeiterInnen. „Alle Baristi, die bei mir anfangen, müssen gut sein!“ Und obwohl alle an den gleichen, hochmodernen Geräten – Arno nennt sie seine Spielzeuge – arbeiten, die perfekt gewartet und eingestellt sind, schmeckt der zubereitete Kaffee bei jedem Barista ein klein wenig anders. Jede/r hat seine eigene Methode, und der Kaffee reagiert komplett sensibel. „Schon bei einem halben Grad Schwankung in der Wassertemperatur schmeckt man enorme Unterschiede.“
Japanisches Filtern und andere Varianten
Auf seine „Spielzeuge“ lässt Arno nichts kommen. Sämtliche Kaffeegetränke durchlaufen hier eine Siebträgermaschine/ Marzocco GB/5. Da schimmert dann auch der Techniker durch. So investiert er pro Jahr 1000 Euro allein in Mahlscheiben. Wartung und Wasser filtern kosten allgemein ca. 3000 Euro im Jahr.
Und dann geht es ans Verkosten, Riechen und Vorführen. Fruchtiges Blaubeer-Aroma im Amaro Gayo aus Äthiopien. Die feine Milde aus der eigenen Röstung, japanische Filtermethode und italienische Injektions-Kaffees.
Die Welt des Kaffees also mitten im Schöneberger Kiez zu unschlagbar günstigen Preisen und in dieser außergewöhnlichen Qualität – und so kommt es, dass es wohl in ganz Europa keinen zweiten Kaffee-Laden gibt, der so klein ist und so viele „shots“ macht wie das Double Eye.
Text und Foto: www.ankekuckuck.de
Andrea Grohn: Schulbücher und Kiez-Krimis
Grohnsche Buchhandlung auf der Roten Insel
„Ich brauch ’ne Empfehlung für einen Geburtstag, möglichst schnell, weil ich sowieso schon zu spät komme…“, „Hier hab ich ein Foto auf’m Smartphone von einem Arbeitsheft, das brauche ich schnell!“, „Uns fehlt noch Mathe für die Havelland, 2. Klasse.“, „Hallo! Ich schieb‘ gleich mal durch in die Kinderbuchabteilung…“
In der Grohnschen Buchhandlung auf der Roten Insel, Kolonnenstraße 52, geben sich die Kunden die Klinke in die Hand. Jetzt geht die Schule wieder los. „Wir beliefern die ganze Stadt mit Schulbüchern“, erklärt Andrea Grohn, und ihre Mitarbeiterin Michaela Roll-Witt ergänzt: „Von Lichtenrade bis Reinickendorf.“
Vor zehn Jahren „über’n Damm gemacht“
1995 übernahm Andrea Grohn den damaligen Buchladen gegenüber und machte 2005 mit Michaela Roll-Witt „über’n Damm“ auf die andere Straßenseite in den jetzigen Laden. „Nächstes Jahr feiern wir zehn Jahre hier auf dieser Seite der Kolonnenstraße und 20 Jahre insgesamt!“ Beide kennen also den Kiez in- und auswendig. Und natürlich auch die Bioinsel Schöneberg – damals noch als Inselladen in der Leberstraße: „Seit Seifen-Zeiten kenne ich die Inhaberin Anne Weis. Heute ist der Laden schön modernisiert, super sortiert. Ich kaufe sehr gerne bei Anne ein. Da gibt es alles, was du brauchst.“
17 Kilo Schulbücher und mehr…
Andrea Grohn und ihre Mitarbeiterin mögen das Schulbuchthema. „Wir haben uns in diesem Segment eine kleine Kompetenz in Berlin erworben“, stapelt Andrea tief – während die angelieferten Bücherberge eher bis unter die Decke ragen. Gleich kommen 12 Kisten à 17 Kilo auf Paletten, mit von der Partie 110 Diercke-Atlanten, 5. Klasse, € 31,95, mit dem wird immer noch in den Schulen gearbeitet. Andrea liefert alles mit ihrem Auto aus: Die Mathematikbücher für die Grundschule in Reinickendorf ebenso wie Informatikbücher und Atlanten für das Oberstufenzentrum Charlottenburg.
Vermittler in Sachen Bürokratie
Die Buchhändlerinnen verstehen sich als Anlauf- und Vermittlungsstelle – auch für nichtdeutschsprachige Eltern, die vielleicht mit den bürokratischen Anforderungen der Schule nicht ganz klar kommen. „Wir bemühen uns die Schwelle niedrig zu halten und zu unterstützen, damit alle an ihre Bücher kommen.“
Der Aufwand, bevor die SchülerInnen ihre gewünschten Bücher in Händen halten, ist groß: Jeder Lehrer, jede Klassenstufe, jede Schule, jedes Bundesland verwendet andere Bücher und Arbeitshefte. Was und wie müssen Eltern bestellen, bezahlen, an wen und wann? Lehrmittelfonds, Bezirksämter, Senatsstellen – viele sind involviert. Der Vorteil der anteiligen Bezahlung: Die Eltern sehen, welche Schätze ihre Kinder zur Verfügung haben.
Blind Date und Herbstmessen
Der Schulanfang im Sommer ist das eine saisonale Geschäft. Es folgen im Herbst die Neuerscheinungen zur Buchmesse Frankfurt, dazu Lesungen, wie gerade z.B. eine sehr gut besuchte mit dem Dichter Lutz Seiler und seinem neuen Buch „Kruso“ (Foto v. l: Michaela Roll-Witt, Lutz Seiler, Andrea Grohn). Aber auch andere Lesungen sind gut besucht, etwa wenn Oliver G. Wachlin liest. Der bekannte Krimi-Autor lebt nämlich auf der Roten Insel, und jeder neue Band aus seiner Berlinreihe ist heiß begehrt. Oder Radio-Moderator Volker Wieprecht (am 12.11.14) mit seinem Buch: „Zwischen Kreisel und Kleistpark“, wobei die Rote Insel ja auch irgendwo dazwischen liegt.
Gütesiegel für Kinder- und Jugendbücher
Im November/Dezember folgt dann das Weihnachtsgeschäft. „Es werden sehr gerne Bücher geschenkt“, weiß Michaela, „gute Kinderbücher sind trotz Playstation und Internet immer noch der Renner.“ Und da ist die Grohnsche Buchhandlung derart gut sortiert, dass sie mit einem Gütesiegel vom Börsenverein des deutschen Buchhandels prämiert ist. Das Angebot reicht von Rotraut S. Berners Wimmelbüchern über Kästners Klassikern bis zu amerikanischen Bestsellern wie Gregs Tagebücher, „Suchtstoff für junge, männliche Leser, bei denen ,Papier lesen‘ als uncool galt.“ Und wie aufs Stichwort kommt ein Grüppchen Jungs in den Laden, observiert lässig das Angebot, registriert Gregs Tagebücher, von denen jetzt die Nr. 9 erwartet wird – und rückt wieder ab. „Ich wette,“ so Michaela, „morgen kommt einer der Jungs alleine wieder und kauft ein Buch.“
Dicke Bücher dank Harry Potter
Und was sind sonst noch die Renner für das junge Publikum? Michaela: „Der Harry-Potter-Wahn hat u.a. dazu geführt, dass vor allem dicke Bücher über Zauberer und Mittelalter in mindestens drei Bänden angesagt sind, Fantasy-Wälzer, wie die Panem- oder Meto-Trilogie. Diese ,all age Titel von 8 bis 88‘ muss man aber nicht lesen,“ meint die gelernte Buchhändlerin, ansonsten liest sie alle Kinderbücher auch selbst. „Es gibt so viele wunderbare Jugendbücher, da kann man in der Grohnschen Buchhandlung viel stöbern und entdecken – im Laden wie auch im Internet-Shop.“
Angesagte Lieblingsbücher
der Buchhandlung und ihrer Kunden sind dieses Jahr beispielsweise „Americanah“ von der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, oder „Vor dem Fest“ von Saša Stanišić. Auch Berlin-Bücher finden auf der Roten Insel großes Interesse, so die Krimireihe von Volker Kutscher, die im Berlin von 1910 bis 1929 spielt.
„Und dann“, schmunzelt Andrea Grohn, „gibt es da auch noch Anne Weis‘ und mein Lieblingskochbuch von Yotam Ottolenghi. Da haben wir denselben guten Geschmack!“
Gisela Nolting-Schöne: Von Arabisch bis Zulu
Gisela Nolting-Schöne ist der Roten Insel treu
und Vorsitzende der Lernbrücke e.V.
Sie wohnt in einer der eher kürzeren Straßen Berlins – fünf Häuser, eine Baulücke – die Roßbachstraße* auf der Roten Insel Schöneberg, Verbindung zwischen Goten und Cherusker. Und hier schon seit 1976. Sie ist Vorsitzende der Lernbücke e.V. gleich um die Ecke in der Feurigstraße 55, dort arbeitet sie seit 28 Jahren und hat so manchem Nachhilfeschüler oder Sprachenlernenden aus der Umgebung auf die Sprünge geholfen.
Über die Lernbrücke zur BioInsel
Wenn also eine mit der Roten Insel verbunden ist, dann Gisela Nolting-Schöne. Sie kaufte schon in der Bioinsel ein, als die noch der Inselladen in der Leberstraße war und ist dem Biomarkt bis heute treu geblieben. „Gutes Angebot, gute Preise, nette Leute und direkt auf dem Weg,“ sagt sie auf die Frage, warum sie seit 25 Jahren bei Helmut und Anne einkauft. „Meine Schwester aus Oldenburg ist immer verblüfft, wie günstig das Biobrot ist“, sagt Gisela. Außerdem hat Bioinsel-Inhaber Helmut mal einen Englischkurs in der Lernbrücke belegt – mit welchem Ergebnis ist nicht überliefert.
Die Nische unter den Sprachschulen
Gisela, soweit darf man indiskret sein, hat das übliche Rentenalter bereits erreicht. Dieser Status sollte aber hier nicht mit Ruhestand verwechselt werden. Vielmehr treffe ich sie als aktive Vereinsvorsitzende der Lernbrücke e.V. in der Feurigstraße an, wo sie mit drei weiteren Damen – Helena, Anne und Anke – die Sprach- und Nachhilfeschule managt. In sechs Übungsräumen vermittelt ein Stamm von Lehrerinnen und Lehrern die ungewöhnlichsten Sprachen. „Das ist unsere Nische im großen Angebot der professionellen Sprachschulen,“ so Gisela, „Einzelunterricht und Gruppen ab zwei Personen in Sprachen von Arabisch bis Zulu, in sehr partnerschaftlicher Atmosphäre und zu sehr günstigen Preisen.“
Lernen als Lustbetonte Anstrengung
Ein Verein eben, der sich schon bei der Gründung vor 30 Jahren immer als gemeinnütziges Projekt, und nicht als profitorientiertes Unternehmen verstanden hat. Hier sollten auch einkommensschwache Menschen – zunächst SchülerInnen, später auch Erwachsene – eine Chance auf Bildung bekommen. „Lernen soll eine zwanglose und lustbetonte Anstrengung sein. Lernen ist eine individuelle Entfaltung und wird durch Rücksichtnahme mehr gefördert als durch Konkurrenz.“ So lautet ein Auszug aus den Statuten. Heute wirkt dieser Ansatz wie eine fröhliche Utopie aus dem vorigen Jahrhundert, – umso beeindruckender, dass sie in der Lernbrücke immer noch gelebt wird. Momentan werden über 50 Sprachen angeboten, die durch rund 70 prinzipiell muttersprachliche Lehrerinnen und Lehrer vermittelt werden. Auch der Bereich Nachhilfe ist weiterhin im Angebot.
Von Ostfriesland ins chaotische Kreuzberg
Gisela, geborene Ostfriesin, hat das Lehrerhandwerk von der Pike auf gelernt. Nach ihrem Lehramtsstudium für Mathematik und Französisch in Giessen zog sie auf die Rote Insel und machte in Kreuzberg ihr Referendariat. “Ich dachte: Das darf doch nicht wahr sein, diese chaotischen Zustände in den Klassen. Ich war der Dompteur! Das war mir zu stressig, wenn du jeden Tag immer wieder von vorne anfangen musst. Nur die Klassenfahrten waren schön!“ Sie stieg aus der Beamtenkarriere aus, organisierte Ferienfreizeiten für das Bezirksamt Kreuzberg, jobbte in Kneipen, bot Nachhilfe an, begann bei der Lernbrücke und machte in einem Projekt junge Leute, die Maler und Lackierer werden wollte, für die Berufsschule fit. Vor 28 Jahren stieg sie dann in die Lernbrücke ein.
Wolof, Twi uns Zulu
Heute arbeitet sie dort noch 15 Stunden die Woche, ist Vereinsvorsitzende. Rentabel ist die Lernbrücke angesichts der großen Konkurrenz heute eher knapp und zum Teil auch nur, weil sich alle Mitwirkenden auf ein sehr geringes Honorarsystem geeinigt haben. „Die Stimmung aber“, betont Gisela lächelnd, „die Stimmung in den meisten Gruppen ist fantastisch. Zum Beispiel unsere Hebräisch-Runde oder auch der Französisch-Konversationskurs arbeiten schon über Jahre zusammen. Neu im Programm ist Isländisch. Wir bieten Lettisch, Hindi, Nepali, Persisch oder Russisch. Besonders toll finde ich, dass über die Hälfte unserer Teilnehmenden auf Empfehlung kommen. Wir bemühen uns, individuell die Bedürfnisse zu befriedigen, ob in Wolof, Twi, Zulu, Kiswaheli oder Yoruba – allesamt afrikanische Sprachen, für die wir natürlich auch Muttersprachler haben.“
In diesem Sinne also „jàmm ak jàmm“, das ist Wolof und heißt: Auf Wiedersehen!
*Übrigens: In Berlin gibt es noch deutlich kürzere Straßen als die Roßbachstraße, in der Gisela lebt und die nicht einmal jeder, der auf der Insel wohnt, kennt. Im Nikolaiviertel findet sich die kürzeste Berlins: die Eierstraße, ganze 16 Meter lang mit einem einzigen Anlieger. Aber das ist eine andere Geschichte.
Foto: Gisela Nolting-Schöne vor den Räumen der Lernbrücke e.V.,
Feurigstraße 55
Kontakt und Infos: www.lernbruecke-e-v.de
ConRad und Daniel: Ein Hoch auf alle Räder!
Im Con-Radskeller Gotenstraße nimmt das Fahrrad seinen Lauf
Conrad und Daniel haben es sich mit ihrer jeweiligen Familie auf der Roten Insel – zur Freude aller Fahrradfans – prima eingerichtet. Der Con-Radskeller in der Gotenstraße 74 wächst und gedeiht. Gegenüber wird gewohnt; und auch hier ist Wachstum zu verzeichnen: Conrad hat bereits ein kleines Mädchen, bei Daniel ist der Nachwuchs noch unterwegs. Zum Rundum-Insel-Paket gehört für die zwei Berliner unbedingt der Biomarkt BioInsel: „Morgens kaufen wir da unsere Brötchen und abends bekochen wir unsere Frauen mit dem ganzen Biozeugs.“
Conrad auf dem selbst geschweißten Tallbike, Daniel auf dem Lasten-Fahrrad
Sie oder ich!
Conrad von Meyerinck, 29, hat seinen Fahrradladen im August 2010 im Souterrain eröffnet. Bevor es den Con-Radskeller in der Goten 74 gab, reparierte er – nach einer beruflichen Odyssee durch Sägewerk, Großküche, Schiff und Behindertenwerkstatt – seine Räder und die seiner Freunde zuhause – bis seine Freundin streikte: „Sie oder ich! Die Räder müssen weg!“ Aber wohin; denn Conrad entschied: Es bleibt beim Fahrrad schrauben. Ihn fasziniert nach wie vor die Unabhängigkeit dieses Fortbewegungsmittels. Er mietete also gegenüber der Wohnung einen Keller, „so einen, in dem die BioInsel auch mal angefangen hatte vor 25 Jahren.“
Von Platten zum Platten
Seit April 2013 sind sie zu zweit. Daniel Hornemann, 34, ist zwar von Haus aus Tempelhofer, es zog ihn aber schon „im schwierigen Alter von 15, 16″ zu seinen Freunden auf die Rote Insel. „Damals hatte ich mir überlegt, eine Ausbildung im Bioladen zu machen und hatte dann auch mal einen Probetag in der BioInsel. Gelandet bin ich dann bei der BIO COMPANY, aber nach zwei Monaten war klar: Das war nicht mein Ding. Ich habe dann in Kreuzberg eine Einzelhandelskaufmann-Ausbildung in einem Plattenladen gemacht.“ Nach acht Jahren war etwas Neues angesagt. Mit seiner Freundin zog er in die bezahlbare Gotenstraße. „Hier wollen wir auch nicht mehr weg. Ich bin passionierter Fahrradfahrer seit zehn Jahren, hab als Fahrradkurier gearbeitet und dann geschaut, was der Fahrradladen gegenüber von unserer Wohnung in der Gotenstraße so macht. Auf der Werkstatt-Couch entstand dann auch die Idee sich zusammenzutun.“
Um die Welt oder doch nur bis zur Bioinsel?
Wieso Conrad als gelernter Eventmanager und Daniel als Einzelhandelskaufmann ausgerechnet zum Fahrradschrauben kamen? „Hobby zum Beruf gemacht!“, lautet die einhellige Aussage. Offenbar die richtige Entscheidung, denn das Auftragsvolumen des Radskellers steigt stetig, die Räume wurden fast ums Dreifache vergrößert.
Conrad und Daniel freuen sich über das stetige Wachstum der Werkstatt. „Von unserer Freude an kreativen und sicheren Lösungen für Ausgefallenes und Anspruchsvolle profitieren wir genauso wie unsere Kunden. Ein Fahrrad zu bauen, das nach einer Durchquerung des Kontinents wieder zu uns rollt und super läuft ist für uns natürlich toll, aber auch der zufriedene Alltagsradler motiviert uns!“
Beratung ist den beiden extrem wichtig. „Wir fühlten uns selber oft schlecht beraten und wissen, was das bedeutet. Beraten heißt bei uns auch manchmal abraten – von zu teuren oder unpassenden Komponenten. Hier stehen keine 20 Neuräder, aber wir können alles bestellen und auch nach Maß zusammenstellen.
Lastenrad-Verleih
Ein Steckenpferd ist ihr Lastenrad-Verleih – umgebaut zur Hochzeitskutsche, zum Eiswagen, für Kindergeburtstage, mit Flugzeugsitzen, als Filmproduktions-Kamerawagen, für Umzüge mit kurzen Wegen und allemal für den Großeinkauf mit Kind und Kegel in der BioInsel, bei Ikea oder im Bauhaus sowie als Hunde-Transport-Rad zum Tierarzt oder für alte Bellos, die nicht mehr gut zu Pfote sind. Eines dieser Lastenfahrzeuge tut zurzeit im Kinderladen Lilo Leopard seinen Dienst.
Beratungs-Couch
Die Couch übrigens steht immer noch in der Werkstatt und hat mittlerweile viel Freud und Leid aus dem Kiez in die weichen Polster sacken lassen. Ab und zu ruhen sich hier befreundete Fahrradkuriere aus oder es entstehen neue Reisepläne. „Ein Paar hat sich auf unserer Couch kennengelernt“, und bei einem anderen konnte sie sogar zur Versöhnung beitragen. Die Beziehung hält bis heute.
Text/Foto www.ankekuckuck.de
Con-Radskeller
Gotenstraße 74, 10829 Berlin
FON 0049 178 52 000 75
mail@con-radskeller.de
Mr. Kline: Früher Bio – heute Tuba
Wo die BioInsel vor 25 Jahren begann, repariert und baut heute Mr. Kline Blasinstrumente
Louis Jake Kline kommt direkt vom Dienst in die Schöneberger Leberstraße 13. Hier befindet sich seine Metallblasinstrumentenwerkstatt „The Berliner Tuba“, eben dort, wo der Biomarkt BioInsel vor 25 Jahren startete. Und weil Mr. Kline nicht nur repariert und rekonstruiert, sondern als Solo-Tubist auch körperlich fit bleiben muss, schätzt er das Biofood durchaus, hat aber aktuell gerade wenig Zeit für gesunde Ernährung.
Zurzeit kommt der 33jährige Amerikaner kaum zum Schlafen. Für das Bundespolizeiorchester Berlin stehen tägliche Proben, Konzerte, Gastspiele an. Hinzu kommen Blechblasquintett und -quartett – unter anderem in einer neuen historischen Formation – und am Tagesende dann noch seine kleine, aber feine Profi-Werkstatt, in der er ohne Dienstuniform, aber im Blaumann an Posaunen, Trompeten, Tuben und Hörnern werkelt. Kline hat rund um die Uhr gut zutun. Es gibt in Berlin nur sehr wenige Metallblasinstrumentenbauer und -werkstätten, obwohl Berlin hier eine lange Geschichte aufzuweisen hat.
Klarinette und Tuba
Als Vier-, Fünfjähriger begann Kline mit der Klarinette. Mit 13 fragte ihn der Dirigent seines Orchesters, ob er nicht mal was Neues ausprobieren wolle, der Platz der Tuba wäre gerade frei.
„Das war für mich toll. Die Tuba war groß, laut, ich war der einzige damit im Orchester. Das war was Besonderes!“ Und so ist es wohl auch noch heute, denn das wuchtige Instrument erregt beim Publikum immer wieder Aufsehen.
Die Tuba (lat. von Röhre) ist das tiefste aller gängigen Blechblasinstrumente. Die ersten Tuben wurden in Berlin um 1835 kurz nach der Erfindung der Ventiltechnik entwickelt. Wilhelm Wieprecht und Carl Wilhelm Moritz erhielten in diesem Jahr ein Patent auf eine Basstuba in F mit fünf Ventilen. Im Orchester werden Basstuba und Kontrabasstuba gleichermaßen verwendet. Die Tuba ist im Blasorchester mindestens zweifach besetzt. Kline spielt im Orchester die F-Tuba.
Berliner Bundespolizei-Orchester
Das hat Kline selbstverständlich von der Pike auf gelernt. Er studierte 1998 bis 2002 (Bachelor) und danach bis 2004 (Masters) an der Universitiy Michigan/USA. Danach lernte er vier Jahre lang an der Technischen Hochschule in Seatle/Washington den Intrumentenbau. Von 2008 bis 2010 absolvierte er ein ergänzendes Musikstudium bei dem Solo-Tubisten Jens Björn-Larsen in Hannover. Eigentlich kam Kline nur zum Studieren nach Deutschland – lernte dann hier seine spätere Ehefrau kennen, wurde Mitglied im Bundespolizeiorchester Berlin und blieb bis heute.
Reparaturen für Kollegen
Kline hat schon immer seine Blasinstrumente selber repariert und modifiziert. Kollegen fragten ihn bald, ob er ihre Instrumente reparieren und verbessern könne. So fing es an mit der eigenen Werkstatt.
Und wie er so erzählt zwischen all den messing- und silberglänzenden Röhren, Ventilen und teuren Werkzeugen bringt Kollege die eigene Posaune zur Reparatur. Dabei kommt er mit den Instrumentenkoffern kaum durch die schmale Ladentür und die enge Treppe hinunter. „Unser Solo-Tenorhornspieler Tilo Tritthart, mit ihm spiele ich auch im Quartett.“ Tilos Posaune muss etwas ausgebessert werden. Die gebrochene Stütze wird umgehend gelötet.
Der Klang vor 150 Jahren
Das wichtigste Werkstatt-Projekt ist aber gerade eines, das in Deutschland seinesgleichen sucht. „Wir restaurieren und untersuchen historische Metallblasinstrumente und wollen sie entsprechend nachbauen. Denn die alten Instrumente unterscheiden sich in ihrer Art und dem Klang doch sehr von den neuen. Wir suchen nun Noten und entwickeln entsprechende Instrumente. Wie haben die Musiker um 1880 gespielt? Wir restaurieren gerade eine alte B-Trompete (Berliner Trompete) aus dieser Zeit, die wir im Erzgebirge gefunden haben. Sie ist nur noch in Fragmenten erhalten und ziemlich kaputt, hat aber einen ganz besonderen Klang. Die Idee ist: Wir rekonstruieren sie und bauen sie nach – so eine Art Retro-Look. Dann spielen wir alte Stücke auf nachgebauten Instrumenten dieser Zeit. Der alte Brahms klingt dann eben ganz anders.“ Die erste Probe, eine Weltpremiere, hat gerade stattgefunden. Nach sechs Monaten Arbeit war die Spannung groß. Das Ergebnis hat alle MusikerInnen und die Rekonstrukteure begeistert. Im März gibt es ein erstes öffentliches Konzert.
Die Hightec-Wasserklappe
Aber auch für Sammler und Musiker ist Kline im Einsatz. Ihm macht die Tüftelei Spaß. Er analysiert und erforscht die Hightec-Apparaturen, studiert Ventilsysteme, Metallverarbeitung oder Klangsysteme. „Schaun Sie hier, diese Wasserklappe, ein altes System, wo man das Wasser rauslässt, was beim Blasen entsteht. – Und dann dieser Hightec-Mechanismus für das Wasser, den habe ich in England entdeckt und der funktioniert viel einfacher.“
Schatz der Spitzenklasse
Natürlich sammelt er auch – „das ist wie eine Krankheit“ schmunzelt der sympathische Amerikaner. Besonders für den Bau der Metallinstrumente werden viele und auch teure Werkzeuge gebraucht, z.B. acht bis zehn Bolzen für eine Tuba. Um diese finger- bis beindicken Metallstäbe werden dann die Messinglegierungen zu Rohren gedreht. So kann die Herstellung einer Tuba schnell mal einige tausend Euro kosten. Seine eigene ist von G & P – ein kleiner, sehr feiner Familienbetrieb aus Mailand . Sein „Schatz“ ist handmade, versilbert, die Herstellung hat Monate gedauert, das Ergebnis „Spitzenklasse“.
Eine weitere Arbeit aus seiner eigenen Werkstatt muss noch etwas geheim bleiben. Es handelt sich um eine Instrumenten-Neuentwicklung – inspiriert durch den amerikanischen Instrumentenbauer Georg Schlub aus Singapore. Das ist eine eigene Kreation eher für den Jazz-Bereich. Das Instrument sieht einer Trompete ähnlich, klingt aber tiefer – eher wie eine Posaune – vielleicht eine Art Jazzofon, Popete oder Trosaune.
Mit dem Stuhlflechter
Und warum ausgerechnet die Rote Insel? „Ich habe auf eine Anzeige des Korbflechters geantwortet. Hier ist genügend Platz für uns beide, das geht ganz gut. Und hier unten können wir auch mal ein bisschen Krach machen – das ist mit den Nachbarn abgesprochen. Denn ab und zu müssen wir ja mal ein paar Töne loslassen.“
Text/Foto: www.ankekuckuck.de
Adresse:
The Berliner Tuba
Metallblasinstrumentenwerkstatt
Reparatur, Restaurierung und Bau von Metallblasinstrumenten
017664083768, Leberstraße 13
Stuhlflechterei www.stuhlflechten.com
Physio-Praxis: Reif für die Insel
Gabriela Sorge-Wiese und Erika Sengl haben offenbar alles richtig gemacht mit der Eröffnung ihrer Physiotherapie-Praxis auf der Insel. Wenn frau nach gut zwei Jahren bereits die Räumlichkeiten um einen zusätzlichen Behandlungsraum erweitern muss, dann war die Entscheidung zur Selbstständigkeit stimmig.
Kiezfrauen halten zusammen
In den hübschen Praxisräumen Leberstraße 14 treffen wir auch wieder auf die Hochglanzmagazine aus dem Friseurladen Abschnitt B von Birgit, jene Zeitschriften, die Bioinsel-Chefin Anne auf ihrem Weg zur Massage für Gabrielas und Erikas Patienten gesammelt hat. Recycling praktisch und Nachbarschaftshilfe pur. Die Frauen auf der Roten Insel halten zusammen. Auch Erika lässt sich bei Abschnitt B die Haare schneiden. „Wir Kiezfrauen und Kleinunternehmerinnen halten zusammen. Anne sieht das auch so und hat uns von Anfang an unterstützt, hat zum Beispiel ihre MitarbeiterInnen zu uns geschickt.“
Eine Fülle spezieller Angebote
Bei „Physiotherapie auf der Insel“ arbeiten inzwischen sieben TherapeutInnen und eine Rezeptionskraft, wenn wir einmal vom alten Egon absehen. Egon ist ein vielbenutztes Knochengerüst, an dem veranschaulicht werden kann, welch´ vielfältige Arbeitsansätze den PhysiotherapeutInnen zur Verfügung stehen. Den unterschiedlichsten Beschwerden wird hier mit einer Fülle spezieller Angebote begegnet – von Atemtherapie, Beckenbodentherapie über Fußreflex und Füße To Go bis hin zu Schlingentisch, Shiatsu oder Pilates. Erikas Lieblingsbehandlung ist Cranio Sacral – ein Teilbereich der Osteopathie – das sie als „sehr meditativ“ beschreibt. Ebenso gern und gut massiert sie aber auch klassisch. Gabys besonderes Metier ist die Fußreflexzonentherapie. Auch ihre Kurse in Pilates werden im Kiez sehr gut angenommen. Alle Insel-TherapeutInnen haben ausgesuchte Schwerpunktthemen.
Erst Wäscherei, dann Krimskrams
Die beiden Praxis-Inhaberinnen lernten sich als Arbeitskolleginnen in einer Kreuzberger Praxis kennen und schätzen. Gaby erinnert sich: „Eines nachmittags im Herbst 2010, bei einer gemeinsamen Fortbildung, haben wir beschlossen, uns selbstständig zu machen, alles schnell mal durchkalkuliert, Ideen entwickelt, Räume gesucht. Leberstraße 14 – das war eine gute Zahl. Und dann der Bezug zu Marlene Dietrich…“ „Früher war hier wohl eine Wäscherei und dann ein Krimskramsshop“, erzählt Erika. „Als wir hier 2010 mit dem Praxisausbau begannen – nun ja, es war sehr viel Arbeit bis zu diesem Standard.“ Gaby: „Schon im Mai 2011 starteten wir dann – und es ging gleich positiv los. Und so landete ich auch wieder hier.“ Denn Gaby umschifft die Insel seit Jahrzehnten, auch wenn sie nie hier gewohnt hat.
Margarine und Haselmark
Schon Ende der 80er – als sie ins Robert Blum Gymnasium ging – kannte Gaby den Inselladen im ehemaligen Kohlenkeller. „Das war eine gute Mischung zwischen Bio-Lebensmittel und Geschenkeshop. Schon damals habe ich immer Bio gekauft. Das kommt von meiner Oma. Sie ist mit mir früher ins Reformhaus gegangen, Margarine und Haselmark hat sie mir da gekauft. Ich fand das eher altbacken, und es roch dort auch komisch. Aber irgendwie hat es mich gesundheitsmäßig geprägt. Später ging mein Sohn in der Gotenstraße zur Tagespflege, und so war ich von jeher eben auch Kundin in der Bioinsel.“
Australien oder Namibia
Erika Sengl wohnt mit ihrem Mann seit mehr als zehn Jahren auf der Roten Insel und sucht aktuell eine größere Wohnung, gern auch wieder hier im Kiez. Beruflich hat sie sich erst mit knapp 50 zur Selbstständigkeit entschieden. „Vorher hat es halt nie gepasst. Das war lange überlegt. Nun habe ich es mit Gaby gut getroffen. Das findet man auch nicht alle Tage. Mein großes Hobby sind Reisen – Australien oder Namibia als nächstes. Dafür brauche ich eine gute Partnerin und eine Praxis, die auch mal ohne mich funktioniert.“ Und die hat sie jetzt.
Das ganze Universum
Die Praxis floriert. Manch ein Patient kommt etwas eher, um bei einer Tasse Tee die angenehme Atmosphäre zu genießen. Das ist auch das besondere an der Physiopraxis, glaubt Erika: „Ich denke, es ist das Klima in der Praxis, der Umgang untereinander im Team aber auch mit den Patienten –zugewandt und menschlich.“
Und wenn man dann noch in der „Brigitte“ oder „Gala“, die ja die bekannte Reise durch den Kiez hinter sich haben, etwas schmökern kann, vergeht die Wartezeit wie im Flug. Die „Bild der Frau“ bringt regelmäßig eine Patientin mit, und Gabriela komplettiert das Angebot hin und wieder durch interessante Artikel aus Fachzeitschriften, z.B. über Vitamin D oder die angebotene Spiraldynamik – eine Bewegungsanalyse nebst Anleitung, wie man im Alltag physiologisch besser mit seinem Körper umgehen kann. „Der Körper ist spiralisch aufgebaut“, erklärt Gabriela, „so wie das ganze Universum – aber das führt hier etwas zu weit…“
www.physiotherapieaufderinsel.de
Text und Foto: www.ankekuckuck.de
Die Autorin unserer Kiezgeschichten wohnt selbst seit mehr als 30 Jahren in Schöneberg auf der und rund um die Rote Insel. In der Gustav-Müller-Straße wurde ihre Tochter geboren und eine noch heute funktionierende Krabbelgruppe gegründet. Hier hatte sie ihr Büro in der Leber- später in der Gotenstraße, trank ihren ersten Caipirinha in der Jansen Bar, kaufte Biomilch zunächst im Inselladen, später in der BioInsel und beerdigte den familiären Wellensittich auf dem Kirchplatz am Gustav-Müller-Platz.
Heute betreibt sie ein Kommunikationsbüro in der Erdmannstraße 6 im Crellekiez und erarbeitet für die BioInsel Kommunikationskonzepte und Texte.
www.ankekuckuck.de , www.energy-writing.de
Auf dem Weg zur Insel…Foto: Moritz
Birgit Marczak: Vom Abschnitt B zur Insel
Oder: Wie das Netzwerk Rote Insel funktioniert
Zu ihrem Friseurladen Abschnitt B begibt sich die Haarkünstlerin direkt auf´s Festland. Birgit Marczak nimmt die Strecke von ihrer Wohnung auf der Roten Insel gern per Rad über die Julius-Leber-Brücke in die Akazienstraße. In dem kleinen, aber sehr feinen Salon lässt sich unter anderem auch Anne Weis, Chefin der Bioinsel, mit Vorliebe den Kopf zurecht rücken. Birgit wiederum ist Bio-Überzeugungstäterin und kauft schon seit Jahren in der BioInsel. Sie lässt sich zudem gerne in der Physiotherapiepraxis in der Leberstraße verwöhnen (von der wir in unserer nächsten Geschichte berichten). Wenn Birgit Marczak zur Physiotherapie geht, liest sie dort die Zeitschriften, die sie bereits für ihren eigenen Friseursalon gekauft hatte.
Der Weg der Gala
Das überrascht sie nicht weiter. Denn: Auf ihrem Radweg nach Hause hat sie in der Bioinsel ihren Tageseinkauf erledigt und dabei Anne ihre ausgedienten Magazine wie Gala, Fräulein und den RollingStone vorbeigebracht. Anne wiederum informiert sich umgehend über Stars und Sternchen, Trends und Tratsch und bringt die Zeitschriften bei ihrem nächsten Besuch mit in die Physio-Praxis, in der sie selbstverständlich auch Patientin ist.
So funktionieren die Netzwerke auf der Roten Insel bis weit in die Akazienstraße. Hier sitzt bereits ein graumelierter Herr und blättert in einem der aktuellen Männer-Magazine. Birgit Marczak, die für ihre einfühlsame Scheren-Führung geschätzt wird, widmet sich umgehend seinem Haupthaar.
Style und Leichtigkeit
Der perfekte Schnitt, die typgerechte Farbnuance, die zeitgemäße Pflege – das sind zwar zentrale, aber nicht alle Komponenten, die aus Abschnitt B eine 1A-Adresse machen: „Wir möchten unseren Kunden und Kundinnen eine entspannte Zeit zum Genießen ermöglichen, sie sollen sich verwöhnen lassen. Mit Style und Leichtigkeit.“ Abschnitt B – eine sorglose Oase. „Das Vertrauensverhältnis zum Kunden ist beim Friseurbesuch extrem wichtig. Wir legen Wert auf eine gewachsene Beziehung, hellwach und partnerschaftlich.“
Birgit Marczaks Engagement für die Köpfe ihrer Mitmenschen begann als 15jähriger Lehrling in Bremen und ist ihr bis heute erhalten geblieben. Inzwischen teilt sie diese Leidenschaft offenbar nur noch mit wenigen: „Heute gibt es Nachwuchsprobleme, ich finde kaum Mitarbeiter. Dabei ist das doch so ein wunderbarer Beruf, wenn man Menschen mag. Ich liebe das noch immer, auch wenn die Arbeit wirklich nicht besonders gut bezahlt wird.“
Kommunikation gehört zum Service
Zum Service gehören reduzierte Wartezeiten. Aber wenn mal warten, dann doch so unterhaltsam wie möglich. „Als Friseurladen führen wir natürlich die ganzen gängigen Frauenzeitschriften wie Brigitte Woman, Vogue, Gala. Lifestyle-Magazine jeder Art. Männer bevorzugen derzeit Byke, RollingStone, musik express – die finde ich auch persönlich interessanter als die Modemagazine. Da wiederholt sich mit der Zeit alles.
Wir legen Wert auf gute Kommunikation – und das spiegelt sich dann auch in der Auswahl der Zeitschriften.“ Deren Lektüre man dann, wie geschrieben, anschließend in der Leberstraße 14 vertiefen kann.
Text und Fotos: www.ankekuckuck.de
Johannes Moninger: Von Geburt an alles auf Bio
Auf dem Weg von der Roten Insel nach Istanbul
„Hört sich vielleicht blöd an, aber mein Leben kann ich mir ohne BioInsel gar nicht vorstellen. Das soll jetzt nicht die dicke Werbung sein. War ja auch nicht immer nur lustig. Doch es ist einfach so, dass mich ´Das Lädchen´ – wie wir zuhause immer sagten, ein Leben lang begleitet hat und von daher überhaupt nicht mehr wegzudenken ist.“ Johannes Moninger ist heute 24, im Jahr des Mauerfalls in Berlin auf der Roten Insel geboren und mit Bio in jeder Hinsicht groß und stark geworden. Heute ist der junge Mann auf dem Sprung nach Istanbul.
Lakritze, Felix und Tupperbox
„Ich erinnere mich gut an die ersten zwei Meter langen Lakritzstangen, das erste Buch Felix. Der reisende Hase – die Biobrötchen in der Tupperbox für die Schule – die erste eigene Arbeit – das erste selbst verdiente Geld – alles Bio!“
Und dann auch die unangenehmen Begleiterscheinungen, wenn Mama Moninger vom Lädchen-Einkauf nach Hause kam und Johannes und seinen zwei Jahre älteren Bruder rief: „Kann mal einer runter kommen und mir tragen helfen?“ Dann ging das Gerangel los. Familie Moninger wohnt noch immer dort – im vierten Stock!
Die Qual mit der Bio-Stulle
„Mama kauft noch heute alles in der BioInsel.“ Das fand Johannes nicht immer super. „Manchmal war´s auch eine Qual. Während meine Schulkollegen weißen Toast mit lecker Nutella aßen, musste ich mich durch das harte dunkle Brot mit Biokäse beißen.“ Das änderte sich dann ja zum Glück und bald gab es auch helle Biobrötchen, Brezeln oder Laugenstangen.
Aber auch Baba, Vater Moninger, sorgt sich hin und wieder um den Einkauf. So kam es einmal, dass er seine beiden Jungs in der Wohnung zurück ließ, zur BioInsel verschwand und nicht mehr zurückkehrte. So empfanden es zumindest die beiden Jungs, damals sieben und neun, denen die Abwesenheit des Vaters endlos erschien. Sie stürmten also in die BioInsel, das Schlimmste befürchtend, auf der Suche nach dem verschollenen Vater.
Bioinsel-Chefin Anne beruhigte sie und versicherte, dass Papa vor einiger Zeit eingekauft hatte und sicherlich nur noch eine andere Besorgung machen musste. Sie blieben in ihrer Obhut, und da klingelte das Telefon. Papa war seinerseits voller Sorge um seine beiden verschwundenen Jungs und schon längst wieder zuhause.
Der erste Job
Aber auch für die älteren Kinder der elterlichen KundInnen war und ist die BioInsel Anlaufstation.
„Mit 16 hab ich in der Bioinsel mein erstes Geld als Schüleraushilfe selbst verdient. Ich habe Pfandflaschen in Kästen sortiert, später dann Obst- und Gemüsetheke aufgefüllt, Tiefkühlfächer einsortiert, auch mal morgens die Tore geöffnet.“ Und wenn Johannes´ Eltern mal einkaufen kamen, waren sie natürlich stolz auf ihren Sohnemann. „Alle Gleichaltrigen aus der Gegend landeten irgendwann mal in der Bioinsel, auch jetzt noch treffe ich die, die damals zu klein waren, zum Jobben. Ich war während der Abizeit manchmal sogar vor der Schule da. Acht bis zwölf Uhr Bioladen, dann zur Schule. Das gab natürlich irgendwann mal Ärger mit dem Lehrer, weil ich müde über dem Tisch hing. Da hatte ich nachts gefeiert, morgens in die Bioinsel und zur Schule war ich dann platt.“ Besonders hart war es im Sommer, wenn bei Sauna ähnlichen Temperaturen im Keller gearbeitet werden musste. Da half nur, wenn Anne zwischendurch Kekse verteilte: „Man muss sich die Arbeit hier unten hin und wieder mal versüßen…“ Und abends wurden dann die Daumen gedrückt, damit keiner zum Ladenschluss hin noch die Leckereien aus der Theke kaufte. „Was übrig blieb, durften wir nämlich mit nach Hause nehmen. Mein Bruder saß dann schon zuhause und fragte, ob ich Kuchen mitgebracht hätte.“
Lehrer in Istanbul
Bis zum Abitur war Johannes zuverlässiger Helfer, und noch heute trifft er in der BioInsel die damaligen Kolleginnen und Kollegen gerne wieder.
Sooft kommt das allerdings nicht mehr vor, denn Johannes ist zurzeit nur auf Stippvisite in der Gotenstraße bei seinen Eltern. Er war ein Jahr zum Pädagogikstudium in Istanbul und wird dort auch ein weiteres Jahr als Grundschullehrer an einer Privatschule arbeiten – auch um sein Türkisch noch weiter zu verbessern. „Istanbul“, schwärmt der junge Lehrer, „ist einfach toll!“ Perspektivisch will er jedoch an einer Berliner Schule arbeiten. Es kann nämlich sein, dass Johannes wieder das dunkle Biobrot, den Käse, die Wurst und die gute Butter zum Frühstück vermisst. „Als ich jetzt aus Istanbul zurück auf die Rote Insel kam, hab ich mich so richtig auf das Essen gefreut und ewig lange gefrühstückt!“
Ach ja, und – zum 25. Geburtstag der Bioinsel schiebt er noch nach:
„Tebrik ediyoruz, Bio adasi! Das heißt: Wir gratulieren, BioInsel!“
Wolfgang Abitz: Heimat und Sicherheit – 1.FCI
Bericht eines Inselbewohners:
Wolfgang Abitz, Vorsitzender von 1. FC Internationale und einer der ersten BioInsel-Kunden
Seit September 1987 bin ich Rote-Insel-Bewohner – seit 26 Jahren – also ein Jahr bevor Anne und Helmut mit dem Inselladen begannen. Ich erinnere mich genau – der Laden war im Kellergeschoss in der Leberstraße. Erst gab es nur wenige Bio-Produkte – Brot, Müsli, Milch, später Käse. Wir, meine Frau und ich, haben von Anfang an dort gekauft. Nebenan im zweiten Laden gab es, glaube ich, Kosmetik und Geschenkartikel. Ich fand das ganz romantisch.
v.l. FCI Vorsitzender Wolfgang Abitz und Mitglied Nr. 982: Helmut Welp, BioInsel.
Foto: BioInsel
Helmut: Mitglied Nr. 982
Ich glaube, ich war einer der ersten BioInsel-Kunden überhaupt und bin bis heute dort Kunde. Ich sehe da zwischen BioInsel und dem FC Internationale, dessen Vorsitzender ich bin, eine gewisse Parallele: Die Expansion. Die BioInsel wurde immer größer und schöner. Der FCI auch: 1980 hatten wir 50 Mitglieder. Heute sind es 1.040. Über 700 Kinder und Jugendliche aus rund 40 Ländern spielen beim FCI.
Helmut Welp hat die Mitgliedsnummer 982. Er ist vor knapp zwei Jahren bei uns Mitglied geworden, zuvor spielte er bei den Kellerkickern und bei Knallrot Wilmersdorf. Jetzt kickt er bei uns, im Mittelfeld der Ü 50 am Voralberger Damm, Kleinfeld.
Fußballschuhe an den Nagel gehängt
Seit 1983 bin ich schon beim FC Internationale — drei Jahre nach der Gründung. Da war ich für die Spitzenteams schon zu alt und habe hobbymäßig bei den Senioren über 32 gespielt. Ich kam dahin, weil ich immer vor dem Reichstag gekickt habe, das ging damals noch, und dann auch in der Hasenheide. Aber bei Regen kam keiner, und wir hatten nichts zum Duschen. Ein Bekannter von mir war Vorsitzender vom FCI. Da hab ich mich gleich wohlgefühlt. Prompt fehlten Leute für die ehrenamtliche Vorstandsarbeit, 1984/85 wurde ich Sportwart, dann Geschäftsführer, 3. Vorsitzender, 2. Vorsitzender und seit 2000 eben 1. Vorsitzender. Ich spielte dann noch in der Altliga über 40, kurz bei der Ü 50, und dann bekam ich Probleme mit der Achillessehne. Und – ehrlich – da ist mir jetzt mit 64 meine Altersbeweglichkeit wichtiger als das aktive Fußballspielen. Die nagelneuen Fußballschuhe, die ich mir kurz vor meinem Achilles noch gekauft hatte, habe ich an den Nagel gehängt, und da hängen sie heute noch. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Große Mädchenabteilung
Unsere Kräfte haben wir bald in den Aufbau der Jugend gesteckt. Das ist hier im Kiez, in Schöneberg, aber auch in Kreuzberg und Steglitz, gut angekommen. Der FCI hat mittlerweile 37 Jugendmannschaften und zwölf im Erwachsenenbereich. Darunter sind unsere erfolgreichen Mädchenteams, mit sieben Teams zählen wir zu den größten Mädchenabteilungen in Berlin. Grad ist unser Frauenteam in die höchste Berlin-Liga aufgestiegen. Da sind wir sehr stolz. Auch die B- und C-Mädchen spielen bei uns richtigen Leistungsfußball; so standen kürzlich die B-Mädchen im Berliner Pokalfinale.
Spione am Spielfeldrand
Wir nennen das Leistungsfußball – nicht Profisport. Bei uns ist Bezahlung von Spielern und Spielerinnen laut Satzung verboten. Trainer bekommen eine Aufwandsentschädigung. Die Folge ist, dass gute Spieler auch wiederum schnell bei anderen Vereinen landen. Leider tummeln sich immer mehr Spione am Spielfeldrand, die versuchen, unsere besten Jugendspieler für andere Vereine abzuwerben.
Mit Respekt
Überhaupt sind wir nicht der typische Fußballverein. Die Linken, Grünen, Alternativen aus unserem Einzugsgebiet stellen fest: Ihre Kinder wollen Fußball spielen!! Wenn ihnen das schon nicht auszureden ist, stellt sich die Frage, in welchem Verein die Kinder angemeldet werden sollen. Und da kommen viele zu uns, denn unsere grundsätzliche Haltung ist, allen Menschen mit Respekt zu begegnen! Das wird bei uns gelebt: Wir diskutieren, hören zu, treffen gemeinsame Entscheidungen – das ist in anderen Vereinen nicht unbedingt so. Und auch mancher Trainer guckt erst mal komisch, wenn der jeweilige Mannschaftsrat bei seiner Einstellung mit gefragt wird.
Von vier bis über 70
Kaum retten können wir uns vor dem Andrang der Minis, der vier- bis sechsjährigen. Das geht an unsere Grenzen, sowohl was Platz, Trainerinnen und Trainer angeht. Eltern werden mit in die Betreuung einbezogen. Wir sind nämlich keine Kinderaufbewahrungsstation. Aber auch die Alten sind sehr rege. So plant der DFB ab 2014 eine Liga Ü 60, da könnte ich dann mitspielen (-: Und perspektivisch sogar eine Ü 70!
Jugendarbeit ist auch Elternarbeit
In jungen Jahren sollten die Spieler und Spielerinnen uns nicht gleich wieder verlassen, wenn ihnen ein anderer Verein lukrative Angebote macht. Wir sind Heimat und geben Sicherheit. In anderen Vereinen werden alle Positionen doppelt besetzt, wird eine Auslese getroffen, bleiben viele auf der Strecke. „Mein Sohn geht zu TeBe,“ höre ich noch einen stolzen Vater, dessen talentierter Sohn abgeworben wurde. Er wurde ausgesiebt und spielt heute keinen Fußball mehr. Schade! Fußball muss doch Spaß machen! Man bewahre uns vor diesen verrückten Eltern. Jugendarbeit – das ist auch Elternarbeit.
Spiegelbild unserer Gesellschaft
Sie glauben ja gar nicht, was am Spielfeldrand manchmal los. Da werden spielende Kinder und Schiedsrichter beschimpft und Aggressionen losgelassen mit persönlichen Bedrohungen – ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Ich würde am liebsten manchmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit spielen lassen. Was sind das denn für Vorbilder für die Kleinen. Wir diskutieren auch mit den Eltern.
Jeder Verein muss Schiedsrichter entsprechend der Anzahl seiner Mannschaften stellen. Wir haben zur Zeit 30 Schiedsrichter – auch ganz junge. Ich bewundere die, wie die sich da hinstellen und sich zum Teil beschimpfen lassen und ruhig bleiben. Auch ein Mädel ist dabei.
Aufwendiger Spielbetrieb
Inzwischen sind wir auf fünf Sportstätten aktiv:
– am Voralberger auf der Inter-Arena
– auf dem Sportplatz Tempelhofer Weg (gegenüber Gasometer)
– auf der Eisackstraße nähe Innsbrucker Platz
– auf dem Dominicussportplatz – Rasenplatz für den Sommerbetrieb
– auf dem Platz Monumentenstraße für die 1. und die 2. Männer-Mannschaft.
Das ist eine Menge Verwaltungs- und Pflegearbeit. Inzwischen haben wir einen technischen Leiter festangestellt für den alltäglichen Spielbetrieb und zwei FSJ-ler.
Die Brust ist (fast) unverkäuflich
Finanziell geht es bei uns meist Plusminusnull zu. Unser Etat beträgt etwa 190 000 Euro im Jahr. Da bleibt nichts übrig. Leider ist der Spendenanteil sehr gering. Da wünschen wir uns manchmal etwas mehr und freuen uns auch über solche Unterstützung wie uns die BioInsel hin und wieder gewährt, zum Beispiel bei der Einweihung des neuen Platzes Voralberger Damm. Wir hoffen, dass sich mal ein Förderkreis bildet, der noch ein paar zusätzliche Gelder akquiriert. Unsere Brust wollen wir möglichst nicht verkaufen: Bei uns ist keine Werbung auf dem Trikot, nur unser Wahlspruch: „No Racism“ – das ist inzwischen auch zum Markenzeichen geworden.
Verbandsliga – neue Halle – Sportplatz für Gäste
Ich habe drei Wünsche für die nächsten Jahre: Unsere Spitzenmannschaften sollen in der Verbandsliga spielen (ohne Geld). Wir hätten gerne eine Halle – damit auch die Kleinen bei Schneetreiben geschützt spielen und wir andere Sportarten wie Basketball und Kampfsport anbieten können. Und noch eine Sportanlage, damit wir auch Gäste bei uns spielen lassen können – die Teams aus Kirchen- und TU-Liga wollen bei uns trainieren, die Landesmeisterschaften der Berliner Behindertenwerkstätten und der InterKulturCup mit Berliner Fußballverband und Türkiyemspor finden bei uns statt, das Flüchtlingsprojekt „Champions ohne Grenzen“ trainiert Flüchtlingskinder bei uns. Die wollen alle bei uns spielen. Warum wohl…?!
Der DFB hat FCI mit dem Integrationspreis 2013 ausgezeichnet. Der Schlüssel für den brandneuen Vereinsbus wurde Wolfgang Abitz von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff überreicht. Der Mercedes Vito wurde feierlich am 31.5. übergeben.
aufgezeichnet von Anke Kuckuck
Peter Zielke: BioInsel und Savon du Midi
Mehr als 20 französische Duftnoten aus Schöneberg
Peter Zielke ist überrascht: „Dann sind wir ja auch schon 20 Jahre mit unserem Seifen- Großhandel unterwegs. Und die ursprüngliche Firmenidee entstand sogar vor 30 Jahren…” Richtig; denn wenn die BioInsel in diesem Jahr ihren 25. Geburtstag auf der Roten Insel Schöneberg feiert und Zielkes Hobby – französische Seife – 1983 auf dem Winterfeldtmarkt seinen Lauf nahm, dann ist das eine wie das andere jubiläumsverdächtig. „Und außerdem,” so der Seifenfachmann mit Spürnase für das Besondere, „starteten wir damals auch mit dem Inselladen in der Leberstraße, ein winziges Lädchen auf der Roten Insel, das später dann Anne und Helmut übernahmen. Da hießen wir Bong Savong (Foto). Heute sind wir Savon du Midi und beliefern noch immer die BioInsel.” Und den Rest der Welt; denn Savon du Midi ist inzwischen eine Erfolgstory. Aber alles der Reihe nach.
Bong Savong und die Keimzelle der BioInsel
1983 war es, als Peter, Michael und zwei andere Mannen eine verrückte Idee des Frankreichfans Peter aufnahmen und sich mit französischen Produkten wie Kaffee und Honig, aber auch besondere Seifen auf den Winterfeldtmarkt stellten. Peter, von Haus aus Kaufmann und dann in den 80ern als Diplompädagoge in der Jugendförderung tätig, war seit 1975 mit einem französischen Imker befreundet. Da lag die Geschäftsidee nahe. Beim Französischkurs 1987 entstand mit Blumenfrau Antje die Idee, einen Bio- und Blumenladen mit Namen Inselladen zu eröffnen – selbstverständlich in Schöneberg, im Kiez. Aber schnell war für Michael und Peter klar:„Bioladen ist nicht unser Ding.” Zum Glück standen Helmut und Anne parat, übernahmen den Inselladen am 1. April 1988 und nannten ihn später BioInsel. Die Seife blieb allerdings allen erhalten.
In 15 europäische Länder
1993 entschied sich der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann Peter, auf eigene Faust einen professionellen Seifengroßhandel zu betreiben. Es begann bescheiden: „Anfangs haben wir noch selbst ausgeliefert. Heute geht alles Paketdienst und Spedition in 15 europäische Länder – nur Frankreich ist nicht dabei. Die haben so ihre eigene Idee von Seife”, schmunzelt Peter. Aber auch Shanghai, Südkorea, Australien, USA stehen auf der Lieferliste.
Ein duftes Betriebsklima
Seit 16 Jahren hat er seine Firma in der Monumentenstraße 33 auf 400 Quadratmetern. Hier wird kreiert, organisiert, konfektioniert, gelagert, verpackt und verschickt. Tritt man in die Gewerberäume ein, umgibt einen sofort der Duft von Lavendel, Rose und Zitrone. Von hier aus gehen inzwischen tonnenweise Seifenstückchen mit mehr als 20 Duftnoten wie Lavendel, Lemongras, Geranium, aber auch Vanille, Zimt-Orange, Honig, Vetyver oder Garrige in alle Welt. Ein duftes Betriebsklima, von dem andere nur träumen…
Die Seife in den Genen
„Und das Tollste”, sagt Peter Zielke heute: „Als wir damals hier einzogen entdeckten wir im hinteren Bereich einen riesigen Kessel – hier war mal eine Seifenherstellung – nach dem zweiten Weltkrieg muss es gewesen sein. Das kann man an den Schweißnähten noch feststellen.” Den entscheidenden Kick für sein Unternehmertum gab ihm aber seine Urgroßmutter. Sie stellte seinerzeit in Schlesien Seife her und zog damit über Land. „Das liegt eindeutig in den Genen!”
Alles rein pflanzlich
„Heute gibt es solche kleinen, feinen Seifenfirmen kaum noch außerhalb von Frankreich”, sagt Peter. Den Klassiker, die Olivenseife Savon du Marseille, produzieren zwei Firmen in Marseille aus reinen Pflanzenölen. Olivenöl, Palm- und Kokosöl werden in großen Kesseln mit Soda vermischt und bei 120 Grad Celsius gekocht. Nach dem Auswaschen mit Salzwasser erfolgt eine 48stündige Trocknung. Dann wird die Seife in Blöcke geschnitten und weiterverarbeitet. Die Bio-Rohseife für die meisten anderen Seifen wird in Kolumbien hergestellt. Die sogenannten Seifennudeln werden in kleinen französischen Manufakturen zu den herrlich duftenden Seifen von Savon du Midi weiterverarbeitet. Während der ganzen Produktion kommen keine tierischen Fette zum Einsatz.
Schnupperkurs für neue Kreationen
Sollen neue Duftnoten und Rohstoffe für aktuelle Kreationen sorgen, müssen Peter und seine Partnerin Monika Blanke selbst ihre Nasen einsetzen. Bevor nämlich die ausgewählten Zutaten zu Seifenstückchen verarbeitet werden, liegen die Muster zwei Monate zum Schnuppern bereit. Immer wieder wird daran gerochen, Konsistenz und Duftverhalten überprüft. Ist der Duft flüchtig? Entwickelt er sich in eine unerwünschte Richtung? Bleibt er beständig? Erst dann gehen neue Zusammensetzungen in Serie.
Mit Langsamkeit
Ein langsamer Herstellungsprozess in Kombination mit der Güte der Zutaten macht die Qualität des Endprodukts aus: Das Mischen und Vermengen bis die Konsistenz stimmt, bis sich alle Zutaten optimal miteinander vermengt haben. „Jedes einzelne Stück fühlt sich gut an”, schwärmt Monika Blanke, die inzwischen in den Seifenvertrieb mit eingestiegen ist. Sie ist eindeutig Fan von Handseife. Flüssigseife in Plastikflaschen sind ihrer Meinung nach unattraktiv, oft wässrig, zu teuer und keineswegs hygienischer. Vor allem, wenn man eine Benutzerregel beachtet: „Der Tod der Seife ist das Fußbad in der Seifenschale”, erklärt Monika, also immer für eine gute Abtropflagerung sorgen.
Seifenlieferung über die Straße
Die Verbindung zur BioInsel liegt noch heute auf der Hand. Monika und Peter wohnen seit mehr als 25 Jahren auf der Roten Insel. „Wir sind hier dreimal umgezogen. Wir gehen in der BioInsel einkaufen. Wir tragen, wenn ein Engpass entsteht, auch schon mal unsere Seifen-Displays über die Straße zu Anne und Helmut. Wir haben den Wandel auf der Insel miterlebt und finden das Leben und Arbeiten auf der Insel wunderbar.”
Text und Fotos: www.ankekuckuck.de